38 Bilder zeigen die Überreste einer sowjetischen Geisterstadt in der Arktis
Eine aufgegebene Siedlung im Nirgendwo
Mitten in der Ödnis der arktischen Tundra liegt die ehemalige kommunistische Kohlebergbausiedlung Pyramiden, die nach einer verheerenden Tragödie vor über 25 Jahren scheinbar über Nacht aufgegeben wurde. Wir machen mit Ihnen einen Rundgang durch die Ruinen der einst blühenden Stadt und erzählen ihre faszinierende Geschichte.
Vom sowjetischen Vorzeigeprojekt zur verlassenen Geisterstadt: Erfahren Sie hier, warum die utopische Siedlung so plötzlich aufgegeben wurde ...
Adaptiert von Ute Eberle
Reise in die Vergangenheit
Die Anreise mit der Fähre von der spitzbergischen Hauptstadt Longyearbyen fühlt sich an wie eine Fahrt in die Vergangenheit. Sobald man am trostlosen Pier der Geisterstadt anlegt, macht sich ein mulmiges Gefühl bemerkbar.
Spitzbergen gehört seit dem gleichnamigen Spitzbergen-Vertrag von 1920 zu Norwegen, aber die anderen Unterzeichnerstaaten, darunter Schweden und Russland (die Sowjetunion wurde erst 1922 gegründet), erhielten das Recht, Bergbau in der Region zu betreiben.
Auf Kohle gebaut
Schweden hatte hier bereits seit 1910 nach Kohlevorkommen gesucht und den vielversprechenden Standort schließlich nach dem pyramidenförmigen Berg im Hintergrund benannt. 1927 verkaufte Schweden die Siedlung jedoch an die Sowjets.
Anfang der 1930er-Jahre wurde Pyramiden der staatlichen Gesellschaft Arktikugol („Arktische Kohle“) unterstellt. Doch es dauerte bis Mitte der 1950er-Jahre, bis mit dem großflächigen Abbau begonnen wurde.
Wie abgelegen die Stadt war, zeigt sich an den schneebedeckten Bergen am Horizont.
Das Kraftwerk
Unmittelbar östlich des Hafens liegt das Kohlekraftwerk, das die Stadt mit Strom und Wärme versorgte. Insgesamt wurden hier eine Million Tonnen fossiler Brennstoffe verbrannt.
Das verlassene Lagerhaus
Nebenan befindet sich ein Lagerhaus, eines von mehreren in dem abgelegenen Städtchen. Hier wurde die geförderte Kohle gelagert – es heißt, dass insgesamt neun Millionen Tonnen des Rohstoffs in Pyramiden abgebaut wurden.
Das Willkommensschild
Fahren wir nun nach Westen in die eigentliche Stadt hinein – entlang der Hauptstraße, die nach dem 60-jährigen Jubiläum der Oktoberrevolution benannt ist.
Ein Willkommensschild und eine Skulptur aus ausgemusterten roten Wasserrohren des Bergwerks markieren die offizielle Stadtgrenze. Davor steht zum Gedenken ein Förderwagen, der mit der letzten Tonne Kohle gefüllt ist, die am 31. März 1998 in Pyramiden abgebaut wurde.
Permafrostbeständige Bauten
Viele der Gebäude der abgelegenen Stadt wurden auf Stelzen errichtet, damit der Permafrostboden darunter nicht auftaute. Die abgerundeten Ecken der Hauswände sollen die Wucht der rauen arktischen Winde bremsen.
Mehrere Tunnel führen zum Bergwerk: Durch einen wurden die Minenarbeiter zur Anlage und zurück transportiert, ein anderer diente dem Abtransport der geförderten Kohle.
Ein ehemaliger Bauernhof
Im Süden der Stadt befindet sich ein verlassener Bauernhof. In seiner Blütezeit umfasste er einen Kuhstall, der für frische Milch und Rindfleisch sorgte, einen Schweinestall, einen Hühnerstall und beheizte Gewächshäuser.
Vom Festland wurden große Mengen Erde herangeschafft und alles angebaut – von Tomaten über Salat bis hin zu Gurken. Damit im Sommer sogar Gras wachsen konnte, wurde die Erde in der gesamten Siedlung verteilt. Ein starker Kontrast zu vielen anderen Teilen Spitzbergens, die völlig karg sind.
Bildungszentren
Die nächsten Gebäude, die Ihnen begegnen, sind die Schule und der Kindergarten. Im Gegensatz zu anderen Bergbausiedlungen auf Spitzbergen und isolierten arktischen Vorposten, in denen meist fast nur Männer lebten, war Pyramiden eine familienorientierte Gemeinschaft mit vielen Ehepaaren und Kindern.
Eine märchenhafte Wandmalerei
Vor der Schule steht ein farbenfrohes Wandgemälde – eines von vielen, die in der Umgebung gemalt wurden, um den Ort visuell aufzuwerten. Es zeigt eine Szene aus „Die Froschprinzessin“, einem der bekanntesten russischen Märchen.
Heute mag Pyramiden trist und deprimierend wirken – doch damals galt es als beinahe utopische Gemeinschaft. In den 1980er-Jahren, zur Blütezeit des Ortes, lebten hier über 1.000 Menschen.
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Leere Klassenzimmer
Die Klassenzimmer im ausgestorbenen Schulgebäude erwecken den Eindruck, als wären sie ganz plötzlich verlassen worden. In den Regalen stapeln sich unordentlich die Schulbücher, auf dem Lehrerpult liegen Schreibsachen und sogar auf der Tafel steht noch etwas geschrieben.
Obwohl der Raum fast unverändert aussieht, blättert an den Wänden die Farbe ab – ein deutliches Zeichen des Verfalls.
Das Krankenhaus
Nach der Schule ist das Krankenhaus von Pyramiden unser nächster Stopp. Man erkennt es leicht am grünen Relief an der Außenwand, das den von einer Schlange umwundenen Äskulapstab darstellt, das traditionelle Symbol für Heilkunde und Medizin.
Der Zutritt ist mittlerweile nicht mehr erlaubt, darum gehen wir weiter zur Kantine der Stadt.
Die ehemalige Kantine
Die Kantine, ein herrschaftlicher, pastellblau gestrichener Bau im neoklassizistischen Stil, war rund um die Uhr geöffnet. Die Einwohner, die keine eigenen Küchen hatten, wurden hier hervorragend versorgt.
Schließlich hatten die Köche stets Zugriff auf frisches Fleisch, Eier, Milch und Gemüse vom städtischen Bauernhof – selbst während des langen, dunklen Winters.
Ein prachtvolles Mosaik
Ebenso prachtvoll wie das Gebäude ist der Speisesaal von innen. Man erreicht ihn über eine reich verzierte Treppe, deren oberer Teil ein Mosaik-Wandbild schmückt.
Darauf ist eine idealisierte Spitzbergen-Landschaft zu sehen – mit Eisbären, einem sibirischen Schlittenhund, einem Wikinger-Langschiff und einem Mann, der möglicherweise Bragi darstellt, den nordischen Gott der Musik und Poesie. Er scheint eine „Tagelharpa“ zu spielen, also eine altnordische Pferdeschwanzhaar-Harfe.
Der Speisesaal
Der Raum ist typisch im sowjetischen Stil dekoriert, auch wenn die schicke Tapete und die edlen Holzmöbel nicht so streng sind, wie man es vielleicht erwarten würde. Über den Heizkörpern wurden sogar geschnitzte Zierholzabdeckungen angebracht.
Überall im Raum stehen vertrocknete Pflanzen – ein weiterer Hinweis darauf, dass die Stadt sehr plötzlich verlassen wurde.
Die Großküche
Im Gegensatz zum einigermaßen gepflegten Speisesaal präsentiert sich die Küche der Kantine als regelrechtes Chaos. Die großen Gastro-Herde und Öfen sowie die industriellen Dunstabzugshauben sind halb verrostet, und der Fliesenboden ist stellenweise von Schutt bedeckt.
Das Wohnviertel
Nur unweit von der Kantine entfernt befinden sich die Wohnhäuser der Stadt. Es gab eine Wohnanlage für alleinstehende Männer, die „London“ genannt wurde, und eine für unverheiratete Frauen, die unter dem Spitznamen „Paris“ bekannt war.
Die Saisonarbeiter kamen in einem anderen Quartier unter, dem sogenannten „Gostinka“ – russisch für Hotel.
Die Familienunterkünfte
Ehepaare mit Kindern wohnten dagegen in einer Anlage, die von den Bewohnern laut Medienberichten scherzhaft als „das Verrückte Haus“ bezeichnet wurde. Angeblich hieß es so, weil die Kinder in den langen, kalten Wintermonaten in den Fluren Radau machten.
Heute haben sich in dem Gebäude ebenso lautstarke Möwen niedergelassen, die auf den Fensterbänken nisten und der unheimlichen Geisterstadt einen Hauch von Hitchcock verleihen.
Der Schlafsaal des Kindergartens
Im ehemaligen Schlafsaal des Kindergartens stehen auf beiden Seiten kleine Betten. An den Wänden hängen Bilder, die vermutlichen von den Kindern in Pyramiden gemalt wurden. Sie alle haben die Geisterstadt längst verlassen.
Der Kulturpalast
Unser nächster Stopp ist die Büste von Wladimir Lenin. Die Statue in Pyramiden ist die nördlichste des russischen Revolutionärs auf der ganzen Welt. Sie steht unübersehbar direkt vor dem Kulturpalast der Stadt.
Wie in vielen sowjetischen Gemeinden diente der Kulturpalast als Erholungs- und Unterhaltungszentrum. In Pyramiden enthielt er ein Kino/Theater, eine Bücherei, einen Kraftraum und eine Sporthalle.
Ein Ort, der beeindrucken sollte
Der Kulturpalast von Pyramiden war für sein breites Angebot bekannt, das den Ruf der Gemeinde als idyllischen Wohnort noch weiter stärkte. Schließlich sollte die Stadt eine kommunistische Mustersiedlung sein.
Arbeitsplätze in Pyramiden waren heiß begehrt, und wer einen Vertrag bekam und hierherziehen durfte, galt als wahrer Glückspilz.
Der große Veranstaltungssaal
Mit seinen samtig-roten Plüschsesseln, den holzvertäfelten Wänden und der geräumigen Bühne war der Veranstaltungssaal das Herzstück des Kulturzentrums. Hier fanden Konzerte und Theateraufführungen statt, und dank Projektor und riesiger Leinwand konnte der Saal auch schnell zum Kino umfunktioniert werden.
Wenn Sie genau hinsehen, entdecken Sie den Roten Oktober – den nördlichsten Klavierflügel der Welt.
Theaterrequisiten
Nebenan lagern zahlreiche längst vergessene Requisiten in einem Abstellraum. Sie wurden einst für Aufführungen verwendet, um die Bewohner von Pyramiden zu unterhalten.
Heute wirken einige zwar noch recht neu, doch ob sie jemals wieder zum Einsatz kommen, ist fraglich.
Die gut erhaltene Sporthalle
Ebenso beeindruckend ist die Sporthalle, die für Basketball, Fußball und andere Mannschaftssportarten genutzt wurde und über eine Zuschauergalerie verfügt.
Dafür, dass sie seit über zwei Jahrzehnten unbenutzt ist, befindet sich die Anlage in erstaunlich gutem Zustand. Direkt daneben liegt der Kraftraum, der ebenfalls gut erhalten geblieben ist.
Die große Bibliothek
Neben Sport und anderen Freizeitaktivitäten wurde in Pyramiden auch die Bildung gefördert – zumindest, solange sie der kommunistischen Ideologie entsprach, darf man vermuten.
Die Bibliothek des Kulturpalastes sollte demnach gut mit Büchern und Zeitschriften bestückt gewesen sein, sodass die Bewohner auch ihren Intellekt pflegen konnten.
Ein weitläufiger Sportkomplex
Wer weitergeht, stößt in der modernen Geisterstadt auf den Juri-Gargarin-Sportkomplex, benannt nach dem berühmten Kosmonauten und ersten Menschen im Weltall.
Im Sommer wurde auf dem großen Außenplatz Fußball gespielt, in den kalten Monaten zog man dafür in die Halle des Kulturpalastes um. Angeblich wurde der Platz im Winter sogar zur Eishockeybahn umfunktioniert.
Das hochmoderne Schwimmbad
Im Sportkomplex befindet sich auch das inzwischen leerstehende, beheizte Schwimmbad von Pyramiden. Früher war es ein echtes Highlight und zog sogar Besucher aus Longyearbyen an. Angeblich waren viele neidisch darauf, dass die sowjetische Siedlung einen so modernen Pool hatte.
Die anderen Gebäude
An anderen Stellen der Stadt finden sich noch die ehemalige Feuerwehr, das Gefängnis, ein geheimes KGB-Büro (Berichten zufolge mit einem Ofen zum Vernichten sensibler Dokumente), mehrere Werkstätten und ein überdachter Schießstand.
Wildtiere als Gefahr
Auf diesem Bild ist ein Eisbär an der Küste von Pyramiden bei der Nahrungssuche zu sehen. Da Eisbären stets eine Gefahr darstellten, trugen die Bewohner immer Gewehre bei sich. Gut schießen zu können, war also ein Muss.
Auch heute sind Tourguides noch bewaffnet, um sich und die Besucher vor möglichen Bärenangriffen zu schützen.
Die Verwaltung
Im ehemaligen Verwaltungsbüro stehen die Tische und Stühle noch genauso, wie sie in den 1990er-Jahren zuletzt benutzt wurden. Überall liegen verstreute Papiere, der Putz bröckelt von den Wänden, und die Pflanzen sind längst vertrocknet – ein trostloser Anblick.
Alte KGB-Akten
In diesem Gebäude hatte der KGB seinen Sitz. Auf dem Schreibtisch liegen noch alte Akten und Fotos ehemaliger Bewohner, die vom Geheimdienst aufbewahrt wurden.
Verlassener Funkraum
Zu Hochzeiten des florierenden Kohlegeschäfts benötigte die Bergbaustadt ein zuverlässiges Kommunikationssystem – für die tägliche Koordination des Stadtbetriebs, den Kontakt zu ankommenden Schiffen und Flugzeugen sowie für Telefonate zwischen den Minenarbeitern und ihren Familien auf dem russischen Festland.
Heute ist auch dieser Ort vollkommen verlassen.
Ein ungewöhnliches Haus aus Flaschen
Auf der Westseite der Stadt steht das skurrile Flaschenhaus – ein ungewöhnliches Öko-Gebäude, das 1983 aus angeblich 5.308 Flaschen errichtet wurde. Es war ein beliebter Treffpunkt zum Feiern und Zusammensitzen.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und der darauffolgenden Wirtschaftskrise blieben die großzügigen Subventionen aus, mit denen Pyramiden und seine opulente Infrastruktur bislang am Leben gehalten worden waren. Denn wirtschaftlich rentabel war die Stadt nie …
Eine Vorzeigestadt
Pyramiden war im Grunde ein Potemkinsches Dorf – die inszenierte Idealversion einer kommunistischen Vorzeigesiedlung. Mit dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre zeichnete sich das Ende bereits ab.
Hinzu kam, dass die Kohlevorkommen langsam versiegten – und das, was noch gefördert wurde, war von minderer Qualität. Ein unterirdisches Feuer in der Grube Mitte der 1990er-Jahre besiegelte schließlich das Schicksal der Stadt.
Der katastrophale Absturz
Der Kindergarten und die Schule schlossen Mitte der 1990er-Jahre, und die meisten Frauen und Kinder verließen die Stadt kurz danach.
Das endgültige Aus brachte ein katastrophaler Flugzeugabsturz im August 1996. Eine Chartermaschine der Vnukovo Airlines flog in einen Berg in der Nähe. Alle 141 Menschen an Bord kamen ums Leben. Viele von ihnen waren Minenarbeiter auf dem Weg nach Pyramiden.
Das Ende
Der Absturz war das tödlichste Flugzeugunglück in der Geschichte Norwegens. Es wirkte sich verheerend auf die Siedlung aus und besiegelte letztlich ihr Ende.
Arktikugol und die russische Regierung beschlossen im April 1998 das Bergwerk zu schließen und den Ort zu räumen. Innerhalb weniger Monate verließen auch die letzten Einwohner – deren Zahl bis dahin bereits auf nur noch ein paar hundert geschrumpft war – den Ort und ließen viele ihrer Habseligkeiten zurück.
Heute eine Touristenattraktion
Doch mittlerweile hat sich Pyramiden als Touristenattraktion neu gefunden. Das alte „London“-Wohngebäude wurde in ein Hotel umfunktioniert. Es eröffnete 2013 und wurde im Folgejahr renoviert – seither strömen zur Hauptsaison zahlreiche Besucher in die Stadt.
Die heutigen Bewohner
Heute leben sogar wieder einige wenige Menschen dauerhaft in Pyramiden – darunter Personal, das sich um die Gebäude kümmert, und Tourguide Aleksandr Romanovsky, besser bekannt als „Sasha von Pyramiden“.
Seit 2012 führt er Besucher durch die Geisterstadt – ein Job, für den er nach eigener Aussage damals der einzige Bewerber war.
Das Relikt einer gescheiterten Utopie
An ihre Blütezeit wird Pyramiden wohl nie wieder anknüpfen. Doch als lebendiges Museum gewährt die Stadt heute einen faszinierenden Einblick in das kommunistische Leben am Ende der Sowjetära – und hat so eine neue Zukunft gefunden.
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