Die außergewöhnlichen Geschichten der „Titanic“-Überlebenden
Sie überlebten den Untergang der „Titanic“
Am 10. April 1912 lief die „Titanic“ von Southampton in England zu ihrer Jungfernfahrt aus. Nach Zwischenstopps im französischen Cherbourg und in Cobh im Süden von Irland führte die Reiseroute über den Atlantik nach New York. Die „Titanic“ war das größte und luxuriöseste Passagierschiff ihrer Zeit. Doch nur fünf Tage nach dem Stapellauf kam es zur schrecklichen Katastrophe: Das Schiff kollidierte südöstlich von Neufundland mit einem Eisberg und sank auf den Meeresgrund. Etwa 1.500 der 2.200 Passagiere kamen ums Leben.
Hier erzählen wir die herzzerreißenden und doch inspirierenden Geschichten derjenigen, die das tragische Schiffsunglück überlebten.
Die Schauspielerin, die in einem Film über die Katastrophe mitspielte
Dorothy Gibson war eine US-amerikanische Stummfilmschauspielerin und Sängerin, die mit ihrer Mutter ein Ticket für die „Titanic“ gebucht hatte. Zum Zeitpunkt der verhängnisvollen Schiffskollision spielten die beiden im Salon Bridge, als Gibson plötzlich „ein langgezogenes, unangenehmes Knirschen“ wahrnahm und der Sache nachging. Zusammen mit ihrer Mutter bestieg sie Rettungsboot Nr. 7, das erste, welches das sinkende Schiff verließ. Doch dann wurde ein Loch im Boden des Rettungsbootes entdeckt. Glücklicherweise gelang es den Passagieren aber, dieses mit Kleidungsstücken zu stopfen. Nur fünf Tage nach dem Untergang stellte Gibson die Tragödie in einem Stummfilm über die „Titanic“ nach. Kurz darauf gab sie die Schauspielerei auf.
Der einzige überlebende Funker des Schiffes
Der junge Funker Harold Bride war für das Senden von SOS-Nachrichten an andere Schiffe, die schließlich das Rettungsboot RMS „Carpathia“ alarmieren konnten, verantwortlich. Ohne ihn und die anderen Funker hätte wohl kaum jemand den Untergang überlebt. Als die „Titanic“ mit dem Eisberg kollidierte, sendeten Bride und sein Kollege Jack Phillips unermüdlich Signale an andere Schiffe, bis sie erfuhren, dass nur noch zwei Rettungsboote übrig waren. Da das Schiff schnell sank, kletterte Bride auf ein sinkendes Faltboot und konnte dort ausharren, bis die „Carpathia“ zu seiner Rettung kam.
Die „unsinkbare“ Molly Brown
Margaret „Molly“ Brown, die sich für Frauenrechte und die Bildung der Armen einsetzte, war eine US-amerikanische Prominente und Philanthropin, die gerne reiste. Als sie in Ägypten unterwegs war, erhielt sie die Nachricht, dass ihr Enkelkind erkrankt sei. Prompt kaufte sie ein Ticket für die „Titanic“ – damals der schnellste Weg von dort zurück in die USA. Als das Schiff sank, übernahm Brown das Kommando in den Rettungsbooten, suchte nach Überlebenden und versuchte, so viele Menschen wie möglich in Sicherheit zu bringen. Sie verteilte Decken sowie Lebensmittel an ihre Mitreisenden und soll sogar selbst ein Ruder in die Hand genommen haben. Ihre Geschichte wurde 1960 in dem Musical „The Unsinkable Molly Brown“ und 1964 in dessen Verfilmung „Goldgräber-Molly” dargestellt.
Die Brüder, die ihren Vater verloren
Im Alter von zwei und vier Jahren überlebten Michel und Edmond Navratil aus Frankreich die Katastrophe, weil sie von ihrem Vater in das letzte Rettungsboot gesetzt wurden. Tragischerweise war dies das letzte Mal, dass die Kinder ihren Vater sahen. Die kleinen Jungen, die kein Englisch sprachen und unter falschen Namen auf dem Schiff registriert waren, wurden von einem französischsprachigen Passagier in New York betreut, bis ihre Mutter in Frankreich ausfindig gemacht werden konnte – durch einen Zeitungsartikel mit Fotos der beiden.
Der einzige japanische Passagier
Masabumi Hosono, der einzige japanische Passagier auf der „Titanic“, schlief gerade in seiner Kabine in der zweiten Klasse, als die Nachricht von der Kollision des Schiffes bekannt wurde. Als er bei den Rettungsbooten eintraf, wurde er zunächst abgewiesen, weil er Ausländer war. Doch als ein Boot unerwartet ankündigte, dass es Platz für zwei weitere Personen habe, erhielt er eine zweite Chance. Hosono sprang ins Boot. In seiner Heimat Japan wurde er jedoch kalt empfangen und von den Medien als Egoist verleumdet. Er wurde sogar fälschlicherweise beschuldigt, andere Passagiere aus dem Rettungsboot gedrängt zu haben, um sich einen Platz zu sichern.
Die Frau mit den drei Leben
Die britische Stewardess Violet Jessop hatte das Pech, nicht nur eine, sondern gleich drei Kollisionen auf See mitzuerleben – doch sie überlebte sie alle. Im Jahr 1911 arbeitete sie an Bord des Schwesterschiffs der „Titanic“, der „Olympic”, als diese mit einem Kriegsschiff zusammenstieß und sich ein Loch in der Seite zuzog. Glücklicherweise schaffte es das Schiff trotz des Schadens zurück in den Hafen. Beim verhängnisvollen Untergang der „Titanic“ im Jahr 1912 half Jessop beim Beladen der Rettungsboote und brachte sich schließlich im Rettungsboot Nr. 16 in Sicherheit. Einige Jahre später arbeitete sie als Krankenschwester auf der „Britannic”, die nach dem Zusammenstoß mit einer Mine sank. Jessop erlitt dabei eine schwere Kopfverletzung, konnte sich aber in ein Rettungsboot retten. Sie wurde 84 Jahre alt.
Das Mädchen, das zur größten „Titanic“-Kritikerin wurde
Die Britin Eva Hart war erst sieben Jahre alt, als sie mit ihren Eltern an Bord der „Titanic“ ging. Sie gehörte zu den jüngsten Überlebenden der Katastrophe. Als das Schiff den Eisberg rammte, sorgte ihr Vater dafür, dass sie und ihre Mutter einen Platz in einem Rettungsboot bekamen. Er selbst wurde leider nie gefunden. Eva Hart wurde später zu einer der schärfsten Kritikerinnen der mangelnden Sicherheitsmaßnahmen der „Titanic“ und prangerte vor allem die geringe Anzahl von Rettungsbooten an. Sie sprach sich auch gegen die Versuche aus, die Artefakte des Schiffes vom Meeresboden zu bergen und bezeichnete die entsprechenden Bergungsunternehmen als „Glücksjäger, Geier, Piraten und Grabräuber“.
Die feine Dame, die beim Beladen der Rettungsboote half
Lucile Carter war eine amerikanische Dame der gehobenen Gesellschaft, die mit ihrem Mann William Ernest Carter und ihren beiden Kindern an Bord der „Titanic“ war. Trotz ihres priviligierten Hintergrunds hatte Carter keine Hemmungen, sich an der Rettungsaktion zu beteiligen. Nachdem sie mit ihren Kindern ein Rettungsboot bestiegen hatte, bemerkte sie, dass „keine Seeleute darin waren. Es blieb mir nichts anderes übrig, als ein Ruder zu ergreifen". Zunächst dachte sie, ihren Mann verloren zu haben, aber dieser fand einen Platz auf einem anderen Boot und tauchte am nächsten Tag auf der „Carpathia” wieder auf.
Der Lehrer, der ein Buch über die „Titanic“ schrieb
Lawrence Beesley (rechts im Bild) arbeitete als Lehrer für Naturwissenschaften am Dulwich College in London, als er ein Ticket für die zweite Klasse an Bord der „Titanic“ buchte. Er las gerade ein Buch in seiner Kabine, als das Schiff den Eisberg rammte. Beesley bekam von der Kollision zunächst nichts mit, bemerkte aber, dass das Schiff plötzlich stillstand und verließ seine Kabine, während die Rettungsboote bereits gefüllt wurden. Als Mann waren seine Überlebenschancen eigentlich nicht sehr groß, aber als keine Frauen und Kinder mehr übrig waren, ergatterte er einen der letzten Plätze in einem Rettungsboot. Er war einer der ersten, die ein Buch über die Tragödie schrieben: Es wurde nur neun Wochen später veröffentlicht („The Loss of The SS Titanic“).
Der zweite Offizier, der Frauen und Kinder rettete
Charles Lightoller arbeitete als zweiter Offizier auf der „Titanic“ und übernahm die Aufgabe, die Rettungsboote ins Wasser zu lassen. Der Brite setzte die Regel, nur Frauen und Kinder an Bord zu lassen, strikt durch. Es heißt, er sei sogar auf eines der Boote gesprungen und habe die Männer mit einem Revolver bedroht. Lightoller selbst rechnete damit, zu ertrinken. Als die „Titanic“ unterging, stürzte er sich ins Meer und schwamm zu einem umgestürzten Faltboot, an dem sich 30 Menschen festklammerten. Er instruierte sie, ihr Gewicht zu verlagern, um das Boot vor dem Kentern zu bewahren. Dies führte letztlich dazu, dass alle bis auf drei Passagiere noch am Leben waren, als das Rettungsschiff sie schließlich im Morgengrauen erreichte.
Der Oberst, der ein stiller Held war
Archibald Gracie IV., ein Oberst der US-Armee und Amateur-Kriegshistoriker, stammte aus wohlhabenden Verhältnissen und hatte ein Ticket für die erste Klasse auf der „Titanic“ gebucht. Als das Schiff zu sinken begann, beeilte er sich, Frauen und Kindern in die Rettungsboote zu helfen, und unterstützte den bereits erwähnten Zweiten Offizier Charles Lightoller, bis auch das letzte Boot gefüllt war. Mit dem Rest der Besatzung ging er an Bord eines Faltbootes. Doch das Boot kenterte und der Oberst musste sich während der Unglücksnacht an der Unterseite des Faltbootes festhalten. Obwohl Gracie schließlich überlebte, zog er sich durch das eiskalte Wasser eine schwere Unterkühlung zu und verstarb nur acht Monate später.
Die Frau, die ihren Mann verlor
Charlotte Collyer bestieg die „Titanic“, um mit ihrer Tochter Marjorie und ihrem Mann Harvey in die USA auszuwandern. Zum Zeitpunkt der Katastrophe lag Collyer in ihrer Koje, da ihr von dem reichhaltigen Essen an Bord übel war. Sie wurde schließlich von der Nachricht des Unglücks geweckt und ging an Deck, wo sie mit ihrer Tochter gemäß der Regel „Frauen und Kinder zuerst“ schnell in ein Rettungsboot stieg. Tragischerweise schaffte es ihr Mann nicht in ein Boot, obwohl er ihr versprochen hatte, einen Platz zu finden. „Ich ließ mich retten, weil ich glaubte, dass auch er überleben würde“, sagte Collyer später.
Die Gräfin, die das Ruder übernahm
Gräfin Noël Leslie, auch bekannt als Lady Rothes, war eine der reichsten Passagiere an Bord der „Titanic“. Als das Schiff den Eisberg rammte, wurde sie im Rettungsboot Nr. 8 untergebracht – dem ersten Boot, das auf der Backbordseite ins Meer gelassen wurde. Dort übernahm Leslie mehr als eine Stunde lang die Pinne, um den Matrosen eine Pause zu verschaffen. Sie kümmerte sich auch um ihre Mitreisenden, und tröstete etwa eine junge Spanierin, die ihren Mann bei der Tragödie verloren hatte. Die Gräfin wurde nach der Katastrophe als Heldin gefeiert, sah sich jedoch selbst nicht so und wollte von dem Ruhm nichts wissen.
Mehr: Titanic-Untergang: Das waren die Superreichen an Bord des Unglücksschiffs
Der Bäcker, der überlebte, indem er sich betrank
Charles Joughin, der Bäckermeister der „Titanic“, überlebte den Untergang auf die wohl ungewöhnlichste Weise: indem er sich betrank. Als die „Titanic“ zu sinken begann, lief Joughin zunächst auf dem Schiff herum und verteilte Brot und Kekse an das Personal. Dann verschwand er für einen Schlummertrunk in seiner Kabine. Laut einer Untersuchung des Unglücks könnte ihm das hochprozentige Getränk das Leben gerettet haben. Der Alkohol verhinderte, dass er die Kälte spürte, und ließ ihn relativ entspannt bis zum Morgengrauen im Wasser herumpaddeln, bis er gerettet wurde. Andere Besatzungsmitglieder und Passagiere hingegen erlitten einen Kälteschock und ertranken.
Der Priester, der das Leben an Bord fotografierte
Der irische Jesuitenpater Francis Browne erhielt von seinem Onkel Robert Browne ein Ticket für die „Titanic“. Als begeisterter Fotograf begann er, sobald das Schiff Southampton verließ, Aufnahmen zu machen. Er freundete sich mit einem amerikanischen Ehepaar an, das ihn drängte, auch den zweiten Teil der Reise mitzufahren. Browne bat seinen Vorgesetzten per Telegramm um Urlaub, erhielt aber folgende Antwort: „VERLASSEN SIE DAS SCHIFF“. Und so ging der Priester in Cobh von Bord – zwei Tage, bevor die „Titanic“ ihr schicksalhaftes Ende fand. Die Bilder, die er von dem Schiff machte, wurden erst 1985 entdeckt und gehören zu den bedeutendsten Sammlungen von „Titanic“-Fotos, die es heute gibt.
Die letzte Überlebende
Eliza „Millvina“ Dean wurde am 2. Februar 1912 in London geboren und war erst neun Wochen alt, als sie mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder die „Titanic“ bestieg. Die Familie plante, in die USA auszuwandern, wo Millvinas Vater ein Tabakgeschäft führen wollte. Als die „Titanic“ mit dem Eisberg kollidierte, wusste ihr Vater sofort, dass die Lage ernst war. Er drängte die Familie, sich schnell anzuziehen und sofort das Gepäck zu holen. Durch sein schnelles Handeln standen sie ganz vorne in der Schlange für die Rettungsboote und die gesamte Familie ergatterte dort einen Platz. Millvina war die letzte Überlebende der Katastrophe. Sie starb 2009 im Alter von 97 Jahren.
Lesen Sie jetzt: Neue 3D-Bilder zeigen die „Titanic“ wie noch nie zuvor
Comments
Be the first to comment
Do you want to comment on this article? You need to be signed in for this feature